Christus ist gekommen, um uns zu zeigen, dass wir keine Waisen sind, sondern dass wir Gott zum Vater und die Kirche zur Mutter haben.

„Lasst die Kinder und hindert sie nicht, zu mir kommen! Denn Menschen wie ihnen gehört das Himmelreich.“ (Mt 19,14) „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen.“ (Mt 18,3) Warum liebt Jesus die Kinder so? Was bedeutet es, dass wir so sein sollen wie sie? „Wir können doch nicht in den Schoß unserer Mutter zurückkehren“ (vgl. Joh 3,4), entgegnete Nikodemus im Gespräch mit Jesus, nicht ohne einen Hauch von Sarkasmus.

Michele ist ein guter Freund von mir. Dank ihm habe ich mich vor mehr als 20 Jahren entschlossen, ins Priesterseminar einzutreten. Heute ist er verheiratet und hat zwei Kinder, Ludovica und Francesco Chenyong. Francesco wurde in China geboren und hat seine leiblichen Eltern nie kennengelernt. Als Michele und Giuliana ihn zum ersten Mal sahen, war er zwei Jahre alt und konnte weder sprechen noch laufen, da niemand Zeit oder Lust gehabt hatte, es ihm beizubringen. Heute ist Francesco ein sehr aufgewecktes und lebhaftes Kind. Er ist gerne mit seinen Freunden zusammen und spielt sogar Klavier.

Als Michele mich das letzte Mal in Rom besuchte, erzählte er mir, dass Francesco, der damals fünf Jahre alt war, immer sehr früh aufwacht, ins Zimmer seiner Eltern läuft und sich zu ihnen ins Bett legt. Dann zieht er sich das Laken über den Kopf, um sich zu verstecken. Anschließend zieht er es schnell wieder weg und ruft: „Da bin ich, ich bin geboren! Hallo, Papa, hallo, Mama!“ Und das jeden Morgen …

Das Erste und Wichtigste, was ich aus diesem Spiel des kleinen Francesco lerne, ist, dass jeder von uns sich als Sohn oder Tochter fühlen muss, als ein Kind, das erwartet und gewollt ist. Das ist Voraussetzung dafür, dass wir wachsen können, erwachsene Männer und Frauen werden und etwas Gutes schaffen können in unserem Leben. Mission bedeutet ja eigentlich, der ganzen Welt zu verkünden, dass das Leben ein Geschenk ist, das uns jemand gemacht hat, der uns liebt. Und dass jeder Mensch einen unschätzbaren Wert hat.

Das Spiel des kleinen Francesco sagt uns aber noch etwas anderes, nämlich dass wir alle, wie er, einen Vater und eine Mutter brauchen. Dazu ist Christus Mensch geworden: um uns zu zeigen, dass wir keine Waisen sind, dass wir einen Vater haben, der uns von Anfang an erdacht hat und uns liebt. Denn der Vater ist derjenige, der uns einen Namen gibt, der uns sagt, woher wir kommen, und uns eine Richtung weist im Leben. Aber jeder von uns braucht auch die Wärme einer Mutter, die uns zunächst einmal in sich empfängt, uns schützt mit ihrem Leib und uns dann zur Welt bringt. Die immer bereit ist, sich um uns zu kümmern, uns zurechtzuweisen und uns zu verzeihen, wann immer wir es brauchen. In dem Augenblick, in dem Christus seine Sendung erfüllte, am Kreuz, hat er uns einer Mutter überantwortet. Die Kirche nimmt uns mit mütterlicher Fürsorge auf in eine Gemeinschaft, sie erzieht uns im Glauben und sie zeigt uns den Weg, wie wir unserer Berufung als ihre Kinder auf den Grund gehen können. Und wie alle Mütter ist sie immer bereit, uns wieder in die Arme zu schließen, auch wenn wir Fehler gemacht haben.

Deshalb müssen wir wieder zu Kindern werden und mit demselben Staunen wie der kleine Francesco wieder entdecken, dass die Wirklichkeit und das Leben ein Geschenk sind. Wir können ihren Sinn und ihre Schönheit nur dann wahrhaft erkennen, wenn wir uns bewusst machen, dass wir Kinder sind.

 

 

 

ein Gemeindefest in der Pfarrei von “Nuestra Señora de Las Aguas” in Bogotá, Kolumbien.

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