„Man wird euch vor Könige und Statthalter stellen – ihnen zum Zeugnis. Macht euch nicht im Voraus Sorgen, was ihr reden sollt. Denn nicht ihr werdet dann reden, sondern der Heilige Geist“ (vgl. Mk 13,11). Das Entscheidende des Christentums ist die Begegnung mit Christus, die das Leben auf den Kopf stellt und es hundertmal reicher macht an Sinn, Farbe und Geschmack. Die ganze Wirklichkeit gewinnt eine tiefe Bedeutung, die sonst ganz unvorstellbar wäre. Sie wird durchdrungen vom Duft des Ewigen, das die Grenzen von Zeit und Raum überwindet.
Jeder, der von diesem Faktum berührt wird, das menschlich und göttlich zugleich ist, hat gleichzeitig eine Aufgabe und Verantwortung: vor der Welt zu bezeugen, dass diese Begegnung für alle möglich ist und ein neues Kriterium zur Beurteilung der Wirklichkeit einführt. Jeder ist, auf eine Weise und in einer Form, die nicht er sich ausgesucht hat, dazu berufen, Prophet zu sein, wie schon im Alten Testament angekündigt wurde: „Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein“ (Joël 3,1).
Ein Prophet im Alten Testament war ein Mann, der auserwählt war, die Stimme Gottes zu sein für sein Volk. Er hatte die Aufgabe, das Volk zurückzurufen zu seiner Beziehung mit Gott und zur Achtung des Bundes, den Gott mit ihm geschlossen hatte. Er war ein Mensch wie alle anderen, den Gott aber für sich aussonderte, damit er dem Volk zum Sprachrohr seiner Empfindungen würde, ihm seine Sorgen und seine Liebe übermittelte. Jeder dieser Propheten hatte seine ganz eigene Geschichte und sein eigenes Temperament, was beweist, dass Gott beruft, wen er will, ohne Rücksicht auf Verdienste, einen speziellen Charakter oder sozialen Status.
Von uns allen ist die Bereitschaft verlangt, unseren Glauben öffentlich zu bekennen
Der Prophet konnte ein bescheidener Hirte sein wie Amos, ein ehrgeiziger junger Mann wie Elischa, ein exzentrischer Einzelgänger wie Johannes der Täufer. Doch wahrscheinlich hatte keiner eine so starke und komplexe Persönlichkeit wie Elija. Er war hochmütig und konnte zornig werden; er war treu, aber manchmal auch träge. Er hatte viele Seiten und war ein einzigartiger und vielschichtiger Mensch. Seine Geschichte, von der in der Bibel mit großer erzählerischer Kraft berichtet wird, zieht die Leser in ihren Bann. Zum Beispiel, als er alleine mehr als 400 Propheten des Baal herausfordert, sie verspottet, provoziert und schließlich töten lässt, nachdem er sie als falsche Propheten falscher Götter überführt hat (vgl. 1 Kön 18,22-40).
Doch gerade, als Gott selbst sich ihm offenbart, geschieht dies nicht durch ein mächtiges Zeichen, sondern durch ein „sanftes, leises Säuseln“ (vgl. 1 Kön 19,12), und genau darin erkennt Elija den tiefsten Sinn seines Zeugnisses. In dieser persönlichen Offenbarung Gottes findet er die Antwort auf sein eigenes unruhiges Suchen.
Ein Prophet war auch Franz Jägerstätter, der 2007 von Benedikt XVI. seliggesprochene österreichische Bauer, der sich weigerte, für die Sache Hitlers und des Dritten Reiches in den Krieg zu ziehen.
Er war ein ungestümer und rebellischer junger Mann, der sich gerne schlug und die Frauen liebte. Doch als er die etwas jüngere Franziska kennenlernte, änderte er sein Leben. Sie heirateten und bekamen drei Töchter. Seine Wiederannäherung an den Glauben, die Dankbarkeit dafür, dass ihm vergeben wurde und er sich geliebt fühlte, und die Treue zur Kirche und ihrem Lehramt machten diesen Mann aus bescheidenen Verhältnissen fähig zu erkennen, dass ein christliches Leben nicht mit der Unterstützung des Nationalsozialismus vereinbar ist.
Wenn die Beziehung zu seiner Frau und die Gewissheit, dass sie ihn bedingungslos liebte und unterstützte, ihn fest und entschlossen machten bis hin zum Martyrium, so war vor allem seine tiefe Sehnsucht, Christus gleichförmig zu werden und ihm nachzufolgen (die in den Briefen deutlich zum Ausdruck kommt), der Grund und das Fundament für seine Bereitschaft, bis zum äußersten Zeugnis zu gehen.
Zu dieser prophetischen Sendung ist jeder Christ berufen, wenn auch jeder auf andere Weise und unter anderen Bedingungen, je nach der persönlichen Geschichte des Einzelnen. Von uns allen ist die Bereitschaft verlangt, unseren Glauben öffentlich zu bekennen. Dem können wir uns nicht entziehen, selbst wenn es das größte Opfer erfordern würde. Dabei muss uns klar sein, dass die Hingabe unserer selbst nur Sinn hat als Antwort auf eine Liebe, die uns zuerst geliebt hat, und dass das eigentliche Subjekt dieses Zeugnisses letztlich nicht wir sind, sondern der Heilige Geist, den Christus denen schenkt, die ihm folgen.
Das macht uns frei von jeder Angst, die aus unserer Schwäche und Unzulänglichkeit entsteht, so dass wir dem Bild entsprechen können, das in den folgenden Worten von Franz Jägerstätter aufscheint: „Will man denn nicht Christen sehen, die es noch fertig bringen dazustehen inmitten allen Dunkels, in überlegener Klarheit, Gefasstheit und Sicherheit, die inmitten aller Fried- und Freudlosigkeit, Selbstsucht und Gehässigkeit dastehen im reinsten Frieden und Frohmut, die nicht sind wie ein schwankendes Schilfrohr, das von jedem leichten Winde hin und her getrieben, die nicht bloß schauen, was machen meine Kameraden oder Freunde, sondern sich nur fragen, was lehrt zu all dem unser Glaube?“